Meinem Freund Win zum Siebzigsten - page 1

Meinem FreundWin zum
Siebzigsten
ein Festvortrag von Detlef Junker* am 28. Juni 2008 im großen Saal der
„Gemeinnützigen“ zu Lübeck
LieberWin,
ich vermute, dass ich heute Abend derjenige unter Deinen Freunden und
Gästen bin, der die Achterbahn Deines Lebens am längsten begleitet hat.
Ich möchte deshalb zu Deinem siebzigsten Geburtstag nicht nur Deinen
Genius preisen, sondern Deinen Freunden und Gästen auch etwas von
einer „unmöglichen“ Freundschaft erzählen, die wir beide seit fast
fünfzig Jahren pflegen; seit fast zwanzig Jahren zusammen mit den
größten anzunehmenden Glücksfällen unseres Lebens, zusammen mit
Yuko und Anja. Ich komme also aus der Tiefe Deiner Lebenszeit und
kann heute endlich etwas erzählen, was mir vor fünf Jahren noch
verwehrt war.
Wir lernten uns Anfang der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts kennen,
an der Bar im Hotel und Restaurant meiner Eltern. Ich war entweder
noch ein rasender Reporter des „Pinneberger Tageblatts“ oder schon ein
Student mit achtundsechzig Kilo Lebendgewicht; Du warst ein leicht
unterernährter, erkennbar hoch talentierter Ingenieur und Mitarbeiter
der Firma Neye-Enatechnik, der an seinen privaten und beruflichen
Ketten zerrte. Diese Ketten hast Du dann durch einen Sprung in die
Freiheit abgestreift. Und dieses Muster von Flucht und Aufbruch zu
neuen Ufern hat sich in Deinem Leben mehrmals wiederholt.
Als wir uns kennenlernten, begannen wir umgehend zu diskutieren,
bestimmt, leidenschaftlich und meistens kontrovers, wir waren selten
einer Meinung, und wir sind es auch heute bestenfalls zu 51 %.
Bevor wir uns kennenlernten, hattest Du ein Vertrauensverhältnis -
schon damals warst Du ein großer Menschensammler - zu meiner Mutter
und zu meinemVater entwickelt. Ich habe es gleichsam von ihnen
geerbt, dann erworben, um es zu besitzen.
Warum aber eine unmögliche Freundschaft
Wir sind das Produkt zweier Kulturen, zumindest dominant: Du ein
Produkt der Natur- und Technikwissenschaften, ich der Geistes- und
Sozialwissenschaften. Das hatte Konsequenzen: Die Arkana der
Halbleiter- und Reinraumtechnik blieben mir immer verborgen, ich
konnte nur bewundernd zuhören und bedeutend schweigen.
Du hast Dich für meine Ignoranz gerächt und meine Bücher zur
deutschen und amerikanischen Geschichte nie gelesen. Selbst die
Behauptung, Du hättest einmal zwanzig Seiten zur Kenntnis genommen,
halte ich für ein Gerücht. Eine mögliche Ausnahme ist mein Buch „Power
und Mission -Was Amerika antreibt“.
Auch bei den eternisierenden, d.h. auf Ewigkeit zielenden Potenzen,
Philosophie, Kunst und Religion, gab es mehr Trennendes als Gemein-
sames. Ich habe auch Philosophie studiert, die begriffliche Präzision, der
Logos, stand bei mir immer hoch im Kurs. Du dagegen bist ein außeror-
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1 - Professor Detlef Junker,
Lübeck 2008
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